Vollversammlung zeigt sich irritiert wegen Hängepartie in Berlin
Reichhold: "Bei den Sozialbeiträgen liegt die rote Linie bei 40 Prozent"
Pressenachricht Nr. 054/2017 - 4. Dezember 2017
Sorgen macht sich derzeit das Handwerk wegen des politischen Stillstands der Regierungsarbeit in Berlin. Bei der Vollversammlung der Handwerkskammer Region Stuttgart am Montagnachmittag kritisierte Kammerpräsident Rainer Reichhold, dass die geschäftsführende Regierung weit weg vom Gestalten sei. "Angesichts der großen Probleme im Land brauchen wir Bewegung – in allen Bereichen erleben wir aber eine Hängepartie."
Dringenden Handlungsbedarf sieht das Handwerk bei Steuern und Abgaben. Deutschland sei hier Vizeweltmeister hinter Belgien, deshalb müsse es dringend Entlastung geben. Reichhold: "Die Sozialbeiträge dürfen die Marke von 40 Prozent nicht übersteigen, das ist die rote Linie. Ansonsten sind wir als lohnintensive Branche nicht mehr wettbewerbsfähig."
Als Gastredner in der Vollversammlung wies Marc Biadacz, CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Böblingen, auf den überproportionalen Zuwachs der Zahl der Studierenden hin. "Uns fehlen die Azubis, weil alle an die Unis wollen", kritisierte er den seiner Ansicht nach besorgniserregenden gesellschaftlichen Trend. "Es ist falsch zu denken, dass das Leben erst mit dem Abitur anfängt." Noch intensiver müsse die Diskussion geführt werden, dass eine Karriere im Handwerk gesellschaftsfähig sei. Im Übrigen sei hierfür die Imagekampagne als mediale Begleitung hervorragend geeignet.
Den Fachkräftemangel nannte der Kammerpräsident als eines der größten Probleme der Wirtschaft. "Das Thema brennt uns täglich unter den Nägeln, weil es zur Wachstumsbremse mutiert." Er forderte Lösungen, die dazu führen, dass wieder mehr Facharbeiter gewonnen werden können. "Ein Einwanderungsgesetz darf da kein Tabu sein." Erfreulich sei, dass sich viele Unternehmen stark für die Integration von Geflüchteten engagieren. Sie würden darin einen guten Weg sehen, Nachwuchs für den Betrieb zu fördern. "Diesen Bemühungen dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden", betonte Kammerpräsident Reichhold. "Aktuell macht dem ausbildenden Betrieb aber eine finanzielle Förderlücke beim Berufsfachschuljahr schwer zu schaffen, die für Geflüchtete existenzbedrohend sein kann." Der Bund müsse hier dringend nachbessern.
Konkrete Formen nehme das Projekt "Offensive Dialog und Perspektive Handwerk 2025" an. Thomas Hoefling, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, erklärte vor der Vollversammlung, dass das Thema Personalentwicklung im Handwerk ab Januar von der Handwerkskammer aktiv begleitet werden könne. "Eine neu eingestellte Personalexpertin wird Handwerksbetriebe kostenfrei beraten, wie Fachkräfte gefunden und langfristig ans Unternehmen gebunden werden können."
Forderung nach der Meisterprämie
Angepackt werden müsse im Bund wie auch im Land bei der beruflichen Bildung. Kammerpräsident Rainer Reichhold räumt dem Berufsbildungspakt dabei einen hohen Stellenwert ein. "Wir brauchen einen Pakt, in dem eine gleichwertige finanzielle Ausstattung der beruflichen Bildung vereinbart wird. Dann wird auch das Handwerk für junge Menschen attraktiver." Auf Landesebene setze sich das Handwerk schon lange für einen Meisterbonus ein, mit dem die Meisterqualifikation stärker unterstützt werde.
Auch das Thema Schwarzarbeit gehöre endlich auf die politische Agenda. Ein Positionspapier des Handwerks mit konkreten Forderungen an die Bußgeldbehörden, den Gesetzgeber, die Bundes- und Landesregierung wurde vor kurzem verabschiedet, so Reichhold, um Schaden abzuwenden. "Schwarzarbeit schadet dem Staat, weil Ausfälle bei Steuern und Sozialversicherbeiträgen verursacht werden, gesetzestreue Betriebe leiden unter den Wettbewerbsverzerrungen, zudem geraten Beschäftigte in prekäre Lebensverhältnisse oder in die Altersarmut." Zum Forderungskatalog des Handwerks zählt unter anderem, dass die Bußgeldbehörden den gesetzlichen Bußgeldrahmen ausschöpfen, eine allgemeine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige eingeführt und der Handwerkerbonus sowie die Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen ausgeweitet werden. In der Region Stuttgart gebe es insgesamt 29 Bußgeldbehörden. Allerdings sei fast ausschließlich die Stadt Stuttgart bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit aktiv. Erst im November wurde in der Landeshauptstadt ein Fall in der Baubranche mit einem Bußgeld in Höhe von 200.000 Euro abgeschlossen.
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