Strukturbericht 2017 für die Region Stuttgart: Digitalisierung forciert Wandel von Wertschöpfungsketten und Beschäftigungsstrukturen

Wirtschaftsstruktur und Netzwerke in der Region Stuttgart sind gute Basis für Wirtschaft 4.0

Pressenachricht Nr. 036/2017 vom 15. September 2017

Die Region Stuttgart hat aufgrund enger Vernetzung und hoher Kompetenz der Unternehmen beste Voraussetzungen, um die massiven Veränderungen durch zunehmende Digitalisierung vieler Wirtschaftsbereiche zu bewältigen. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen sehen sich allerdings sowohl vor großen personellen, als auch finanziellen Herausforderungen. Eine erfolgreiche Transformation bei Wertschöpfungsketten und Beschäftigungsstrukturen erfordert eine international wettbewerbsfähige Infrastruktur bei Glasfaserversorgung, Forschung und Entwicklung sowie entsprechende technologische Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten. Zu diesem Schluss kommt der Strukturbericht 2017 von Verband Region Stuttgart, Handwerkskammer Region Stuttgart, IG Metall Region Stuttgart und IHK Region Stuttgart. Die Berichte analysieren regelmäßig die strukturelle Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung.

Im aktuellen Bericht werden die regionale Wirtschaftsstruktur und die bestehenden Kooperationserfahrungen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Institutionen als gute Basis für einen erfolgreichen digitalen Wandel gesehen. Die Automobilindustrie ist ein Vorreiter für die vernetzte Produktion in ihren Fabriken und entlang der Wertschöpfungskette. Maschinenbau und Elektrotechnik sind die wichtigsten Ausrüster für die digitale Fabrik. Außerdem verfügt die Region Stuttgart in der Informations- und Kommunikationstechnologie, bei Ingenieursdienstleistungen und in der Kreativwirtschaft über hervorragende Potenziale um den industriellen Kern.

Die Region Stuttgart steht für 30 Prozent der Wertschöpfung des Landes Baden-Württemberg und hat gegenüber dem Bundesgebiet einen Produktivitätsvorsprung von fast 23 Prozent. Der Arbeitsmarkt ist in bester Verfassung. Seit der Jahrtausendwende sind rund 175.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden. Von fast 1,2 Millionen Beschäftigten arbeiten zwei Drittel im Dienst-leistungsbereich. Bei den Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung nimmt die Region europaweit nach wie vor einen Spitzenplatz ein.

Automobilindustrie und Maschinenbau vor strukturellen Herausforderungen

Der Fahrzeugbau mit seinen Zulieferern ist mit Abstand der bedeutendste Wirtschaftszweig des Verarbeitenden Gewerbes. Allein die Fahrzeughersteller in der Region haben 2016 mit 113.600 Beschäftigten einen Umsatz von knapp 58 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Regionalwirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend auf das Produkt Automobil hin orientiert und trägt damit maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg und damit zum Wohlstand der Region bei.

Auch der Maschinen- und Anlagenbau, mit knapp 72.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 27 Milliarden Euro die zweitgrößte Industriebranche, steht durch diese gesellschaftlichen Trends vor massiven Veränderungen. Hinzu kommt eine zunehmende Verschmelzung des klassischen technischen Maschinenbaus mit Informations- und Kommunikationsdienstleistungen.

Uwe Meinhardt, Stellvertretender Sprecher der IG Metall Region Stuttgart: "Beides sind starke regionale Kompetenzen, die ein großes Potenzial für neue Geschäftsmodelle bergen. Die gute Lage darf aber nicht den Blick auf Herausforderungen verstellen. Der fundamentale Technologiewandel vom Verbrennungs- zum Elektromotor, die Digitalisierung des Automobils, die Internationalisierung der Wertschöpfung, die Entwicklung neuer Mobilitätsdienstleistungen und branchenfremde Akteure wie Google oder Uber verändern die bisherige Branchenlandkarte tiefgreifend. Damit die Region diese Veränderungen erfolgreich bewältigen kann und gestärkt daraus hervor geht, braucht es einen gemeinsam gestalteten Transformationsprozess. Dabei muss es um eine nachhaltige und zukunftsfähige industrielle Struktur gehen, die Beschäftigung auch für die nächste Generation in der Region sichern kann."

Glasfaserverfügbarkeit entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit der Region

Ein Datenaustausch mit Kunden und Zulieferern, Cloud-Anwendungen und Streaming-Dienste, die innerbetriebliche Vernetzung und nicht zuletzt die Dezentralisierung der Produktion, die neue Chancen der Wertschöpfung auch außerhalb der Gewerbestandorte bietet, ist nur mit symmetrischen Glasfaseranbindungen möglich. Diese müssen in der ganzen Region vorhanden sein. Genauso werden diese zeitnah und lückenlos auch entlang der Verkehrsachsen notwendig werden, um autonom fahrende Verkehrsmittel wie Busse, Lieferverkehr und Baumaschinen sicher zu steuern sowie flächendeckend intelligente und vernetzte Mobilitätsangebote nutzen zu können.

Hinzu kommen Flächenbedarfe für neue Produktionen, Start-ups, Forschung und Entwicklung sowie strategische Projekte des technologischen Wandels, aber genauso auch für Erweiterungen bestehender Unternehmen. Die regionale Flächenkulisse muss weiter diskutiert werden, aber insbesondere müssen auch die zahlreichen bereits vorhandenen und verfügbaren Gewerbeflächen schnell aktiviert werden.

Dr. Nicola Schelling, Regionaldirektorin Verband Region Stuttgart: "Der Gesamtauftritt der Region als Wirtschaftsstandort ist wichtig - auch um die Attraktivität für die Fachkräfte der Digitalisierung sicherstellen zu können. Die Rahmenbedingungen hierzu setzt die öffentliche Hand. Die Region Stuttgart stellt sich diesem Thema und treibt das Thema Glasfaserausbau voran, setzt WLAN in der S-Bahn um und entwickelt eine regionsweite Mobilitätsplattform mit Open-Data-Anwendungen. Außerdem schieben wir mit verschiedenen Förderprogrammen innovative Projekte an, die Vorbildcharakter haben. Ziel muss es sein, dass neue Produkte, neue innovative Dienstleistungen und Anwendungen in Wirtschaft, Mobilität und Verkehr in der Region selbst zum Einsatz kommen. Es ist anspruchsvoll, eine solche Dynamik in einer bereits wirtschaftsstarken Region zu entwickeln, aber notwendig, um im digitalen Wandel als Gewinner hervorzugehen."

Kleine und mittlere Unternehmen müssen ohne Einschränkungen am digitalen Wandel teilhaben können

Die kleinen und mittleren Unternehmen in der Region Stuttgart behaupten sich gut bei digitalen Geschäftsmodellinnovationen. Die enge Verzahnung von Industrie, KMU und IT-Dienstleistungen in der Region treiben diese Entwicklung weiter. Dennoch muss die Innovationsfähigkeit von Handwerkern und KMU für Geschäftsmodelle im digitalen Wandel weiter gestärkt werden. Dazu gehört auch ein stärkerer Wissenstransfer und Informationsaustausch. Die Ergebnisse des Strukturberichts zeigen auch, dass sich die Unternehmen der Region Stuttgart in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten hin zu einer Wirtschaft 4.0 bewegen. Neben einigen Leuchttürmen der Wirtschaft 4.0 steht ein nicht unbedeutender Teil der Unternehmen dem digitalen Wandel noch immer abwartend und beobachtend gegenüber. Insbesondere KMU und Handwerk sehen sich vor großen Herausforderungen, weil sie häufig über geringe personelle und finanzielle Ressourcen verfügen.

"Wir müssen die kleinen und mittleren Unternehmen dabei unterstützen, rechtzeitig mögliche Verdrängung der eigenen Produkte bzw. Dienstleistungen durch die digitale Konkurrenz einschätzen zu können", fordert Thomas Hoefling, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart. "Betriebe müssen ermutigt und befähigt werden, über neue Märkte und Geschäftsmodelle oder auch ganz neue Produkte und Services nachzudenken. Um diese zu unterstützen, braucht es neue Stra-tegien, um besonders die eher zögerlichen Unternehmen anzusprechen und mitzunehmen, denn häufig existieren bei diesen Unternehmen Ängste vor neuen Geschäftsbeziehungen und notwendi-gen internen Umstrukturierungen. Flankiert werden muss dieser Ansatz durch Finanzierungs- und Bürgschaftsangebote, die auf KMU zugeschnitten und niederschwellig konzipiert sein müssen und bereits in der Orientierungsphase der Unternehmen greifen. Bestehende Förderinstrumente sollten den Fokus auch auf die Anwendung und Implementierung bereits bestehender Lösungen in KMU legen, nicht nur auf Neuentwicklungen und Grundlagenforschung."

Digitale Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung von höchster Bedeutung

Bildung und Weiterbildung gehören zu den wichtigsten Handlungsfeldern für die Wirtschaft 4.0. Die Beschäftigten müssen ihre fachlichen und sozialen Kompetenzen stetig weiterentwickeln. Dies gilt für fachliche und IT-bezogene Kompetenzen gleichermaßen wie für soziale Kompetenzen. Das duale System und die Aufstiegsfortbildung bieten beste Voraussetzungen zur Vorbereitung auf die digitale Arbeitswelt. Die Kombination von praktischem und theoretischem Wissen bietet einen großen Vorteil bei der Veränderung oder der Neueinführung von technischen Systemen.

Digitale Aspekte müssen aber nicht nur stärker in die berufliche Aus- und Weiterbildung integriert werden. Bereits in der Schule müssen die Grundlagen für solide Medien- und IT-Kompetenzen gelegt werden. Der zunehmende Einsatz von IT und elektronische Arbeitsabläufe führen an vielen Stellen zu einem geringeren Personalbedarf. Aber es besteht eine große Wissenslücke, welche Anforderungen zukünftig nicht mehr gefragt werden und welche Beschäftigtengruppen dadurch besonders betroffen sind.

Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart: "Deshalb ist bei der Weiterentwicklung von Qualifizierungsangeboten ein differenzierterer Blick auf die sich verändernden Anforderungen an die Beschäftigten notwendig. Auch Menschen mit einer aus heutiger Sicht guten Ausbildung brauchen passgenaue Angebote, um im digitalen Wandel nicht abgehängt zu werden. Der Fachkräftemangel wird sich durch die Verschiebungen und Veränderungen bei den Qualifikationsanforderungen nicht von selbst erledigen. Daher müssen Gegenmaßnahmen fortgesetzt werden wie die Förderung der Aus- und Weiterbildung auf der Basis des dualen Systems, der Ausbau betrieblichen Gesundheitsmanagements, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zuwanderung und Werbung für Bildung bei Menschen mit Migrationshintergrund oder älteren, einfach qualifizierten Beschäftigten. In der Digitalisierung stecken aber auch große Potenziale, wenn Beschäftige einen Teil Ihrer Arbeit von Zuhause erledigen können statt täglich im Berufsverkehr festzustecken."

Der Strukturbericht dient seit 1989 zur Bewertung von Wirtschaft und Beschaftigung in der Region Stuttgart. Seit 2002 wird er alle zwei Jahre gemeinsam von Verband Region Stuttgart, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer und IG Metall Region Stuttgart herausgegeben und vom IMU Institut Stuttgart und IAW Tubingen erarbeitet.

Den Strukturbericht incl. Foliensatz und Grafiken können Sie hier herunterladen:





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