Europawahl 2024Interview: „Europas Zukunft geht nur mit dem Handwerk“
Bürokratie-Wust, Arbeitnehmerentsendung und Green Deal: Unser Hauptgeschäftsführer Peter Friedrich diskutiert im gemeinsamen Interview mit den Europaabgeordneten Daniel Caspary und René Repasi, was die EU nun für das Handwerk tun muss.
Drei Europäer mit gemeinsamer Vergangenheit
Europa ist für das Handwerk von zentraler Bedeutung: Viele politische Entscheidungen, die für die Branche wichtig sind, werden in den europäischen Gremien in Brüssel oder Straßburg getroffen.
Als Abgeordnete im Europäischen Parlament vertreten René Repasi, Vorsitzender der SPD-Gruppe, und Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe, die Interessen Deutschlands. Gemeinsam mit Hauptgeschäftsführer Peter Friedrich, der vor seiner Tätigkeit bei unserer Handwerkskammer als Europaminister der baden-württembergischen Landesregierung tätig war, gingen die beiden Politiker auf das Thomas-Mann-Gymnasium (TMG) in Stutensee.
Welche Themen sie damals in der Schülerzeitung „Pepperoni“ setzten und wie die EU in den nächsten fünf Jahren das Handwerk unterstützen kann, lesen Sie in unserem Interview.
Was war am Thomas-Mann-Gymnasium (TMG) los, dass Sie alle überzeugte Europäer geworden sind?
Friedrich: Das war das Zusammenspiel von Zeitpunkt und Ort: Unsere politische Sozialisation fand zur Zeit der Wiedervereinigung statt. Außerdem sind wir in der Grenzregion zu Frankreich aufgewachsen. Es gab eine rege Diskussionskultur zwischen den Schülern, aber auch mit den Lehrern. Das hat uns motiviert, politisch aktiv zu werden.
Repasi: Am TMG gab es dann auch viele Jugendaustauschprojekte. So wurde ein besonderes Klima geschaffen, da man mit gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern aus anderen Ländern im Austausch war.
Caspary: Das Klima hat uns auch dazu motiviert, uns in die Gesellschaft und die Gemeinschaft einzubringen. Ich gebe aber offen zu, dass
ein Mandat im Europäischen Parlament zu Schulzeiten noch nicht mein Plan war.
Sie haben auch zusammen die Schülerzeitung „Pepperoni“ gemacht. Stand da schon was zu Europa drin?
Friedrich: Europapolitik stand in der Pepperoni noch nicht wirklich im Fokus. Es waren vor allem lokale Themen drin, aber auch die Diskussionskultur hat sich widergespiegelt. Wir haben aber auch immer wieder die Spielräume ausgelotet.
Repasi: Als ich später der Herausgeber wurde, durften wir drucken, was wir wollten – und waren schon auch politisch. Wir sind auch zum Land- und Bundestag gefahren und haben zu relevanten Wahlen berichtet.
Kommen wir zur Wahl am 9. Juni. Was steht für das Handwerk in Europa auf dem Spiel?
Caspary: Es geht um die Frage: Wie entwickelt sich Europa weiter? Bleiben wir eine stabile Gemeinschaft von Staaten oder gewinnen Populisten und Extremisten die Oberhand – mit schlechten Auswirkungen auf Handwerk und Mittelstand. Auch wenn bei grundsätzlichen Fragen großer Konsens zwischen vielen Parteien besteht, gibt es schon gewisse Unterschiede. Ich habe den Eindruck, dass fast jede Verordnung und fast jede Richtlinie, die es heute gibt, irgendwie ihren Grund hat, aber die Summe an Verordnungen ist einfach zu viel. Wir müssen es wieder schaffen, Dinge nicht nur über Vorgaben, Einschränkung und Kontrollen zu regeln, sondern neue Freiheiten in Richtung Gesellschaft, Unternehmen und Handwerk zu geben und mehr Vertrauen auszustrahlen.
Repasi: Was die grundsätzliche Fragestellung betrifft, bin ich ganz bei Daniel Caspari. Das Handwerk profitiert massiv davon, dass wir in diesem Binnenmarkt sind. Ohne das Handwerk kriegen wir in der EU unsere ambitionierten Green Deal Ziele nicht hin. In den nächsten
fünf Jahren müssen wir daran arbeiten, Hindernisse gerade im Grenzverkehr wegzubekommen. Allein für baden-württembergische Betriebe bei Arbeiten im Elsass gibt es vielfältige Hindernisse wie die Voranmeldung von Arbeitnehmenden oder die A1 Bescheinigung.
Friedrich: Es ist auch wichtig, deutlich zu machen, dass Europa nach wie vor auch ein Wohlstandsprojekt für den gesamten Kontinent ist – gerade beim Thema Fachkräfte. Was die Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit angeht, ist ganz viel in Europa erreicht worden. Das muss jetzt aber auch unbedingt verteidigt werden.
Die Gesetze der Europäischen Union sind oft auf Großbetriebe zugeschnitten. Die Kleinen haben damit häufig Ärger. Wie wollen Sie die KMUs davor schützen?
Repasi: Wir haben fünf Jahre hinter uns, die extrem intensiv in der Regulierung gewesen sind. Mit der kompletten grünen und digitalen Transformation unserer Wirtschaft hat man sich auch hohe Ziele gesteckt. Was die Regierungen und ihre nationalen Parlamente politisch nicht hingekriegt haben, dort mussten wir die entsprechenden Impulse mit verschiedensten Instrumenten wie dem Emissionszertifikatehandel setzen. Dabei haben wir immer die Fragen von kleinen und mittleren Unternehmen mitdiskutiert und Sonderregelungen geschaffen.
Friedrich: In der Praxis sehen wir allerdings, dass die KMU-Ausnahmen nicht so wirklich funktionieren. Gerade die großen Unternehmen reichen über ihre Ausschreibugen, ihre AGBs oder über Berichtspflichten, die sie ihren Lieferanten auferlegen, Dinge an kleine Betriebe weiter. Das ist ein echtes Problem.
Vielleicht haben Sie eine Lösung dafür: Wie bekommen wir es hin, dass ein Unternehmen, das keine eigene Rechtsabteilung hat, diese Ausnahmen auch proaktiv nutzen kann?
Caspary: Genau das ist das Problem. Immer wieder wird gesagt: Wir machen ja Ausnahmen für Handwerk und Mittelstand. Und wenn wir dann darauf hinweisen, dass die in der Praxis nicht funktionieren, dann wird es von der Gegenseite immer abgetan. Wir wünschen uns, dass es künftig weniger Berichte gibt und mehr Gelegenheit, einfach mal wieder zu machen.
Repasi: Das teile ich nicht so ganz. Irgendwie muss man ja dafür sorgen, dass die nationalen Landes- und Kommunalbehörden in den Zustand versetzt werden, europäisches Recht auch anzuwenden und zu kontrollieren. Dass die Behörden zu diesem Zweck Informationen bekommen, ist richtig. Falsch ist allerdings, dass dieselbe Information an verschiedene Behörden immer durch den Unternehmer gegeben werden muss. Wenn eine Information bei einer Behörde eingereicht wird, muss das ausreichen und auch die Berichtspflicht in anderen Dingen erfüllt sein. Ich sehe hier enormes Effizienzpotenzial, wenn wir Berichtspflichten zusammenführen.
Immer wieder hat es auch Liberalisierungstendenzen gegeben, gerade was die Meisterpflicht oder berufsrechtliche Themen angeht. Sehen Sie hier Gefahren in der nächsten Legislaturperiode?
Caspary: Die Gefahr sehe ich in Europa nicht. Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, die besondere Position des deutschen Handwerks und überhaupt der dualen Berufsausbildung in Europa zu verankern. Wenn wir jetzt noch schaffen, was René Repasi angesprochen hat, dass der Handwerker nicht nur, weil seine Ausbildung anerkannt ist, sondern weil dieser bei uns in Deutschland arbeiten darf und bei uns sozialversichert ist und seinen Pflichten nachkommt, auch im Elsass, Belgien oder in Polen arbeiten darf – dann würden wir einen riesigen Schritt vorankommen.
Repasi: Bei diesem Punkt bin ich ganz dabei. Bei den Arbeitnehmerentsendungsvorschriften gibt es noch einiges an Potenzial, das wir heben können, ohne dass man weitere Liberalisierungsschritte nehmen muss. Ich würde die Gefahr trotzdem als realistisch bezeichnen, weil wir jetzt schon einen „Shift“ weg vom Klimaschutz und hin zur Wettbewerbsfähigkeit sehen.
Was haben Sie im Europaparlament bereits für das Handwerk erreicht?
Repasi: Ich habe das Recht auf Reparatur als Gesetzgeber im Europäischen Parlament betreut und dabei effektive Reparaturhindernisse abgebaut, indem etwa ein unnötiges Formular herausgenommen wurde. Damit habe ich mitgeholfen, dass das Thema Reparatur, was ja ein zentraler Markt für Handwerkerinnen und Handwerker ist, attraktiver wird. Mir war es bei meinem ersten Gesetz, für das ich selbst Verantwortung getragen habe, ein großes Anliegen, meine eigene Überzeugung, wie man das Handwerk fördern kann, einzubringen und eben nicht eine neue Berichtspflicht einzuführen.
Caspary: Unser größter Erfolg war es, dass Ursula von der Leyen endlich die Stelle des Mittelstandsbeauftragten besetzt. Uns ist es dabei um die Frage gegangen: Wie schaffen wir es, das Handwerk zu entlasten und bei der Gesetzgebung besser auf Interessen der kleineren und mittleren Unternehmen zu achten? Und ich sage ganz offen: Es war für uns eine herbe Niederlage, dass Markus Pieper am Ende
den Job nicht angenommen hat, sondern von politischen Wettbewerbern ausgeschlossen wurde. Ich glaube wirklich, das hätte uns viel an Entlastung bringen können und ich wünsche mir, dass Ursula von der Leyen nach ihrer Wiederwahl das Thema zwingend nochmal aufgreift.